Review of How We Became Middle-earth

How We Became Middle-earth(to the main page on How We Became Middle-earth)

The following review appeared in Hither Shore Volume 6 (2010), and is reproduced here with kind permission.

(Review text in German)

Hither Shore is the journal of the German Tolkien Society (DTG).

 

Adam Lam, Nataliya Oryshchuk (eds.):
How We Became Middle-earth. A Collection of Essays on The Lord of the Rings
(Cormarë Series 13), Zurich/Jena: Walking Tree Publishers, 2007, 432 pp., Softcover

Harriet Margolis, Sean Cubitt, Barry King, Thierry Jutel (eds.):
Studying the Event Film The Lord of the Rings
Manchester, New York: Manchester University Press, 2008, 358 pp., Hardcover

(review by Michael Wedel)

Knapp sechs Jahre nach dem letzten Teil des weltweiten New-Line-Blockbusters The Lord of the Rings (2001-2003) sind die akademischen Nachbeben noch immer mit schöner Regelmäßigkeit zu beobachten. Abgesehen von unzähligen Aufsätzen in wissenschaftlichen Online- und Print-Zeitschriften sind allein im deutsch- und englischsprachigen Raum bisher vier umfassende, monografisch angelegte Studien zum Gesamtphänomen des New-Line-Franchise erschienen. Hinzu kommen etwa ein halbes Dutzend Sammelbände, die sich mit der Analyse der Filme, ihrer Produktion, der cross-medialen Vermarktung bzw. Verwertung, ihrer globalen Rezeption und – vor allem – ihrem Status als Verfilmungen eines der populärsten Romanwerke des 20. Jahrhunderts befassen.

Als von den Filmen selbst prominent ins Bild gerückter Drehort und real existierender geografischer Brennpunkt der mit der Welt J.R.R. Tolkiens und Peter Jacksons verbundenen Fantasien der Fangemeinde rückt neuerdings Neuseeland zunehmend ins Zentrum der Beschäftigung mit den kulturellen Folgen des Medienphänomens. Der Sammelband How We Became Middle-earth, herausgegeben von den beiden an der Universität von Canterbury (Christchurch, Neuseeland) lehrenden Kulturwissenschaftlern Adam Lam und Nataliya Oryshchuk, nimmt seine Perspektive auf die von den Filmen gezeitigten Veränderungen in der Wahrnehmung Neuseelands ganz bewusst im Schnittpunkt zwischen wissenschaftlicher Reflexion und persönlicher Erfahrung der einzelnen Autoren ein. So stehen »harte« Forschungsdaten wie die Umfrageergebnisse über das Neuseelandbild beim internationalen Trilogie-Filmpublikum, gewonnen im Rahmen des International The Lord of the Rings Audience Research Project (2003-2004) von Martin Barker und Ernest Mathijs, oder die Diskursanalyse der Fan-Nutzung von Internet-Ressourcen (Robin Anne Reid) neben subjektiven Berichten über eigene Besuche der Drehorte (Lynette R. Porter, Lisa Wong), entsprechenden Fotoessays (Bill J. Jerome) oder einer kritischen Würdigung der Computerspiele aus dem persönlichen Spielerlebnis eines Vaters und seines 13-jährigen Sohnes heraus (Kenneth und Simon Henshall). Diese Durchmischung der Reflexionsebenen kann zwischen den einzelnen Beiträgen, zuweilen auch innerhalb eines Beitrags, zu abrupten Wechseln in der Form der Argumentation führen, sie ist von den Herausgebern jedoch durchaus beabsichtigt. Dies wird bereits im ersten Teil des Buches signalisiert, in dem sich die Beiträger nicht nur mit ihren akademischen oder außerakademischen Tätigkeiten vorstellen, sondern auch Einblick in ihre individuellen Lektürebiografien gewähren und sich in der Mehrzahl als Fans von Tolkiens Trilogie wie auch der Verfilmungen von Peter Jackson zu erkennen geben.

Beeindruckend in der Gesamtschau ist einerseits die Breite der Gegenstände, die in How We Became Middle-earth in den Blick genommen werden (sie reichen vom literarischen Werk Tolkiens über die Kino- und DVD-Fassungen der Filme bis hin zu Websites, Computerspielen, touristischen Theme Tours und den alle Aktivitäten und Medienprodukte verbindenden Fanpraktiken), und andererseits die Vielfalt der theoretischen Kontexte und methodischen Herangehensweisen, die neben literatur- und kommunikationswissenschaftlichen, postkolonialistischen, feministischen, ideologie- und ökologiekritischen Ansätzen auch kulturgeografisch, camusianisch-existentialistisch und zenbuddhistisch inspirierte Lektüren umfasst. Der aus diesem bunten Kaleidoskop entstehende Eindruck ist zwar notwendig ein gemischter. Er sollte jedoch nicht über zwei Grundlinien hinwegtäuschen, die dem Band am Ende doch eine konzeptionelle Konstanz verleihen und ihm seinen Stellenwert in der Flut der Literatur sichern: Er besteht zunächst in dem allen Beiträgen gemeinsamen Vorgehen, Tolkiens Schriften und Jacksons Verfilmung in Bezug auf Neuseeland als imaginäres Mittelerde der Fans auf einer gemeinsamen diskursiven Ebene anzusetzen ohne vorgeschaltete Bewertungen oder disziplinär begründete Kategorisierungen. Vor allem aber besticht der Sammelband How We Became Middle-earth in seinem bisher einzigartigen Versuch, eine Kontinuität zwischen Fandiskurs und wissenschaftlicher Diskussion herzustellen, die den einen in die andere übergehen lässt und in der sich beide wechselseitig erhellen.

Nichts, so möchte man meinen, könnte einem anderen, soeben erst erschienenen Sammelband zum Thema ferner liegen: Bereits seit geraumer Zeit angekündigt, stellt Studying the Event Film die jüngste Etappe in der rapide wachsenden film- und medienwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Gegenstand dar. Es ist das erklärte Ziel dieses Sammelbandes, eine studentische und allgemeine Leserschaft am Beispiel von Jacksons The Lord of the Rings mit den übergreifenden Eigenschaften des »Event Film«-Phänomens vertraut zu machen (S. 1). Diese Zielsetzung wird von der auch hier eingenommenen, dezidiert neuseeländischen Perspektive leider in hohem Maße konterkariert, die die Zusammensetzung der Beiträger und die inhaltliche Ausrichtung der einzelnen Kapitel deutlich prägt. Obwohl die Organisation des Bandes sichtlich bemüht ist, alle Dimensionen der Medien und Kontinente überschreitenden Produktions-, Vermarktungs- und Rezeptionsgeschichte von New Lines The Lord of the Rings abzudecken, findet sich deren gemeinsamer Bezugspunkt doch immer wieder in den konkreten Auswirkungen der Dreharbeiten, Darstellungsstrategien und Rezeptionsformen dieses speziellen »Event Films« auf das kulturelle Selbstverständnis Neuseelands (und insbesondere der Rolle, die dessen Film- und Steuerpolitik in diesem Zusammenhang gespielt haben). Ungeachtet der wertvollen Erkenntnisse, die – wie nicht zuletzt How We Became Middleearth unter Beweis stellt – eine solche »lokale« Perspektive im Einzelfall bietet, scheinen viele der Beobachtungen, Hypothesen und Ergebnisse sich damit nur sehr vermittelt auf eine grundsätzliche Ebene zu heben und auf andere »Event Filme« übertragbar.

Lässt man das akademische Marketing-Manöver einmal außer Acht, den Sammelband als systematisch angelegte, lediglich exemplarisch vorgehende Einführung in das Medienformat des »Event Films« zu positionieren, so ist sein Fokus auf den Produktionsstandort Neuseeland und die dort zu beobachtenden kulturellen Auswirkungen von Peter Jacksons Mammutprojekt durchaus als Stärke und entscheidendes Differenzkriterium gegenüber ähnlich angelegten Untersuchungen wie etwa Kristin Thompsons The Frodo Franchise: The Lord of the Rings and Modern Hollywood (2007) zu betrachten. Im Vergleich zur Vielzahl anderer aktueller Studien zum Thema wird der Gebrauchswert des Buches allerdings dadurch zusätzlich eingeschränkt, dass die Arbeit an den einzelnen Beiträgen in der Mehrzahl schon im Frühjahr 2005 abgeschlossen wurde (vgl. S. 20). Auf seitdem entstandene Untersuchungen bzw. Medienprodukte kann also nur punktuell – vor allem im Einleitungskapitel oder einigen der jeder Buchsektion vorangestellten »Dossiers« der Herausgeber – eingegangen werden.

So bleibt am Ende der Eindruck, dass viele der für sich genommen verdienstvollen Analysen und Überlegungen – etwa zur Bedeutung der Computerspiele (Brett Nicholls) und DVD-Versionen (Craig Hight), zum Sound Design (Jo Smith) und zu Howard Shores filmmusikalischem Opernstil (Judith Bernanke), zum paradoxen Realitätseffekt digital generierter visueller Effekte (Sean Cubitt) oder zur Rolle von »Kreativindustrien« im transnationalen Produktionsprozess (Danny Butt) – an anderer Stelle nicht unbedingt geistvoller, jedoch schon umfassender und auch methodisch fundierter angestellt worden sind. Eine der Ausnahmen, die nicht spezifisch auf Neuseeland bezogen sind, bildet in dieser Hinsicht Sean Cubitts und Barry Kings so umsichtige wie kenntnisreiche, dabei äußerst kritische Diskussion der prekären Stellung des Schauspiels, verstanden im herkömmlichen Sinne einer emotional homogen ausgestalteten, individuell differenzierten Rolleninterpretation. Auf überzeugende Weise wird dargelegt, welch durchgreifenden Transformationsprozess die schauspielerische Figurendarstellung unter den besonderen Bedingungen des ›modularen‹ und in hohem Maße reale und digitale Figuren, Aktionen und Milieus synthetisierenden Herstellungsprozesses von The Lord of the Rings durchläuft (S. 111-125).

Mit Blick auf die literarische Vorlage des Blockbusters fällt auf, dass Fragen des vielfältigen Medienwechsels von Tolkiens Roman hin zu den Kino- und Extended-DVD-Fassungen sowie den Adaptionen für Computerspiele und Merchandising-Produkte weitgehend außen vor bleiben. Auch darin unterscheidet sich der Sammelband – jedoch nicht unbedingt zu seinem Vorteil – von bisher, in How We Became Middle-earth ebenso wie in Kristin Thompsons Standardwerk The Frodo Franchise, stark dominierenden Erklärungsansätzen an die Zugkraft der Verfilmung.

MICHAEL WEDEL

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